Die besondere Qualität des Ensembles Schloss und Lustgarten in Potsdam
Die Diskussion um das Für und Wider der langfristigen Wiederherstellung
des Lustgartens verschiebt sich einmal wieder in Richtung ideologischer
Grabenkämpfe zur Rettung der Nachkriegsmoderne, unterfüttert von der
immer hilfreichen Keule des Erhalts oder Wegfallen von Arbeitsplätzen.
Auch emotional motivierte Argumente sind in dieser Debatte irreführend.
Lassen Sie mich dazu einige Gedanken äußern:
Nützlich ist keine dieser Argumentationsschienen. Erst einmal muss ich
konstatieren, dass es für alles eine Lösung gibt, wenn man eine
LANGFRISTIG GUTE LÖSUNG denn herbeiführen will.
1. Der Gesamtraum
Da der Lustgarten immer der landschaftsgestalterische Komplementär zum
Stadtschloss gewesen ist und dieser Bedeutungszusammenhang nur mit dem
langfristig sinnvollen und notwendigen Abriss des Mercure-Hochhauses
wiedererlangt werden kann, ist es richtig und nachvollziehbar für dieses
langfristige Denken die Sanierungsziele entsprechend festzuschreiben.
Gerade durch die Wiedererrichtung des Potsdamer Stadtschlosses erhält
der Umgang mit dem Lustgarten in Einheit mit dem Schloss eine völlig
andere Bedeutung, in der der Erhalt des Mercure-Hochhauses und nach
bisherigem Stand auch möglicher Neubau an selber Stelle einen
Widerspruch in sich darstellen würde, da die
architektonisch-landschaftsgestalterische Verbindung von Schloss zu
Garten durch eben dieses Hochhaus abgeschnitten ist und dieser Zustand
ggf. auf sehr lange Zeit zementiert würde.
Die Notwendigkeit der Wiederannäherung an den historischen
Stadtgrundriss vom Alten Markt über Haveluferbebauung mit Schloss bis
zum Lustgarten drängt sich seit der Fertigstellung des Stadtschlosses
und der Bebauung an der Alten Fahrt nahezu dramatisch auf. Der in der
Moderne immer verschmähte Begriff des ensemblehaften Denkens zugunsten
des autonomen "Baukunstwerkes" hat nicht nur in Potsdam den eindeutigen
Beweis angetreten, dass mit einer beziehungslosen Ansammlung von auf
sich selbst gerichteten Solitären keine starken öffentlichen Stadträume
geschaffen werden können, in denen sich Bewohner und Besucher gerne
aufhalten. Die ersten positiven Ergebnisse politisch verantwortlichen
und klugen Handelns durch Umsetzung des Beschlusses, Wiederannäherung an
den historischen Stadtgrundriss, sehen wir in der Fertigstellung der
Haveluferbebauung in Einheit mit Schloss und Altem Rathaus. Dieser
Prozess muss also weitergedacht werden.
2. Emotio versus Ratio
Durch persönliche Erinnerungen aufgeladene Ablenkungsdebatten sind hier
wenig hilfreich im Sinne einer Gestaltung unserer Stadträume für die
Bürger der Stadt und ihre Besucher, sind also eher eine die jetzt
lebenden Generationen betreffende Befindlichkeiten. Aber wie wird die
Stadt in 30 - 50 Jahren von den uns folgenden Generationen gesehen?
Emotionalitäten wirken nur kurzfristig, der mit Verstand und Vernunft
(Ratio) entwickelte Stadtraum ist bleibend. Auch der Wegfall von
Arbeitsplätzen wird hier, wie so oft, gerne vorgeschoben. Es wäre an der
Zeit, z.B. dem Betreiber des Hotels langfristig ein Ausweichgrundstück
in der nahen Speicherstadt abzusichern, bzw. zu reservieren.
Hier stehen sich also Emotionalität und Rationalität oder Gefühl und
Verstand diametral gegenüber. Der stärkste Faktor ist das Denken im
gesamten Ensemble und die Entwicklung eines von Harmonie geprägten
Stadtraums, das ist sichtbar oder wird langfristig sichtbar sein.
Emotionen lassen sich städtebaulich-architektonisch nicht abbilden.
Brüche im Stadtraum lassen sich aber auch dem Bewohner und Besucher von
außerhalb nicht vermitteln.
3. Strategie und politische Weitsicht
Nur die Qualität einer Gestaltung für diesen Ort gepaart mit einer den
öffentlichen Raum bereichernden Nutzungsmischung (Lustgarten mit
Neptunbecken, Sport- und Spielflächen, Café- und Bistropavillons etc.)
ist maßgeblich für die dauerhafte Akzeptanz dieses Ortes und seiner
Lebens- und Aufenthaltsqualität verantwortlich. Mit einer Neugestaltung
des Lustgartens und Rekonstruktion des Neptunbeckens kann dieser Raum
die Qualität eines vielfältig nutzbaren Stadtparks erhalten. Anstelle
der steinernen Jahrmarktflächen südlich der Breiten Straße könnten
ergänzende freiraumgestalterische Maßnahmen, wie Sport- und
Spielflächen, sowie z.B. Fontänen und Wasserspiele den Charakter des
Lustgartens stärken und auf den Raum vor dem Marstall/Filmmuseum
reagieren. Zusätzliche Pavillon-Architekturen für kleine gastronomische
Angebote können die Aufenthaltsqualität erhöhen und zum Verweilen
einladen.
Dem Betrachter sowie dem Flaneur vor Ort würde der Erhalt des status quo
immer rätselhaft und unverständlich bleiben. Von ihm ginge langfristig
keine einladende Geste aus.
Keiner möchte das Hotel morgen abreißen. Das steht auch nicht zur
Entscheidung in der Stadtverordnetenversammlung an. Es geht nur darum,
sich mit der Festschreibung als Sanierungsgebiet eine tragfähige
kulturell ambitionierte und achitektonisch-stadträumlich sinnvolle
Chance zur LANGFRISTIGEN Entwicklung des Lustgartens und eines von der
Mitte nicht abtrennbaren Bereichs nicht zu verbauen, also um eine
Entscheidung von politischer Weitsicht, an die sich spätere Generation
gerne erinnern und an dessen Ergebnis erfreuen würden.
Politische Entscheidungen leben nicht vom Augenblick, sondern von ihrer Weitsicht.
Eine Bürgerbefragung, wie sie jetzt wieder beantragt wird, wird immer
dann herbeigeredet, wenn eine mehrheitliche Entscheidung des
demokratisch legitimierten Stadtparlamentes nicht in das jeweilige
politische Konzept passt. Wir leben nun einmal in einer
parlamentarischen Demokratie, in der mehrheitlich getroffenen
Entscheidungen der Mandatsträger akzeptiert werden müssen. Da sind
Parallelstrukturen wie Bürgerbefragungen wenig hilfreich. Öffentliche
Debatten sind wichtig und notwendig, dürfen aber nicht dazu führen, die
redundante Dauerinfragestellung politischer Entscheidungen zu einem
politischen Lähmungsinstrument zu machen.
Prof. Ludger Brands, POTSDAM SCHOOL OF ARCHITECTURE, 26.01.2016
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